Donnerstag, 17. September 2009
Ljiljana Radonic / Wien

Vortrag & Diskussion - Freitag 28.5. 20:00

Die Politisierung der Lust im „Dritten Reich“– Die „Befreiung“ der Sexualität auf nationalsozialistisch

Fragt man nach dem Geschlechterverhältnis im Nationalsozialismus, so liegt der Fokus auch heute noch auf der offiziellen Verherrlichung der Frau als desexualisierte Mutter. Der weibliche Körper soll als politisches Feld für die Rassepolitik gedient haben, Lust und Sinnlichkeit im Sinne der bevölkerungspolitischen Aufgabe unter Kontrolle gehalten worden sein. Das „Dritte Reich“ war zweifelsohne ein gewaltiges Unterfangen zur rassistischen Steuerung der Fortpflanzung, doch die offenkundig verbrecherischen Aspekte der NS-Sexualpolitik waren nicht in eine insgesamt sexualitätsfeindliche Haltung eingebettet. Während einige zu konservativen Werten zurückkehren wollten, versuchten andere NS-Autoren, die sexuelle Befreiung nunmehr als „germanisches“ oder „arisches“ Vorrecht neu zu definieren. „Frei“ durfte jedoch eine nur sehr zugerichtete, der NS-Normvorstellung entsprechende Sexualität gelebt werden, während als verpönt erachtete, bei sich selbst verbotene Triebe an Homosexuellen, Jüdinnen und Juden bis zur Vernichtung gehasst wurden. Der Männerbund und seine kollektive Verdrängung latenter Homosexualität ist somit die Keimzelle autoritärer Herrschaft, wie die Vertreter der Kritischen Theorie gezeigt haben – woraus Adorno und Horkheimer zugleich die selbstverständliche Parteinahme für den individuellen Schwulen folgerten. Diese Triebentfesselung innerhalb repressiver Normen muss in Zusammenhang mit der Untergangsstimmung gedacht werden, die von Anfang an im Nationalsozialismus angelegt war.
Dass die NS-Sexualpolitik so deutlich den heute gängigen Darstellungen widerspricht, kann als Effekt des "Normalisierungsprozesses der fünfziger Jahre" erklärt werden: Die sexfreundlichen Seiten des NS gerieten in Vergessenheit, da man vor den eigenen Kindern oder dem Rest der Welt nicht zugeben konnte, dass man am Dritten Reich durchaus Vergnügen gefunden hatte. Dies „ließ sich mit der erfolgreichsten Taktik der Nachkriegsdeutschen im Umgang mit ihrer Schuld nicht vereinbaren.“ (D. Herzog)

Ljiljana Radonic hält am Wiener Institut für Politikwissenschaft Lehrveranstaltungen über Antisemitismustheorie, Massenpsychologie und Vergangenheitspolitik. Publikationen: Psychoanalyse als Gendertheorie - Freud und seine Kritikerinnen, in: Renate Göllner/Ljiljana Radonic (Hg.): Mit Freud. Psychoanalyse und Gesellschaftskritik, Freiburg 2007; Psychopathologie der Normalität. Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Kritische Theorie, in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus, Freiburg 2006; Sexualität und Mutterschaft – Geschlechterverhältnisse im Nationalsozialismus, Jungle World 21/2006; Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus, Wien 2004.

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Gerhard Scheit / Wien

Vortrag & Diskussion - Donnerstag 27.mai. 20 uhr

Erhabener Körper, quälbarer Leib

Verschwinden die Klassen in der Volksgemeinschaft und die Produktionsverhältnisse in der Vernichtungspolitik, dann wird etwas wie die Phantasmagorie des erhabenen Körpers unabdingbar – Ergebnis davon, daß die Individuen, in ihrem Bewußtsein den Rechts- und Vertragsbeziehungen entbunden, vollständig zur Masse geworden sind, mit Freud gesprochen: „ein und dasselbe Objekt an die Stelle ihres Ichideals gesetzt und sich infolgedessen in ihrem Ich miteinander identifiziert haben“.
Der libidinös besetzte Leib, der dem einzelnen Verliebten als erhaben erscheint, nur um die geschlechtliche Lust noch zu steigern, verschwindet in der „Ästhetisierung der Politik“ (Walter Benjamin), und die Erhabenheit wird zum gepanzerten, gestählten Körper, in dem die Masse sich spiegelt: der Körper der Volksgemeinschaft, der in den Massenorganisationen ertüchtigt wird und den faschistische und nationalsozialistische Kunst- und Filmproduktion ausgeklügelt zur Schau stellen. Er ist nur die Hülle der Opferbereitschaft und kennt deshalb keinen Schmerz.
Indem die Massenindividuen sich miteinander identifizieren, stellen sich Selbstschädigung und Selbstaufopferung, die doch in der individuellen Liebe noch bei größtem Zurücktreten der sinnlichen Ansprüche darauf zielen, den Trieb durch die sexuelle Vereinigung mit dem anderen zu befriedigen, als Selbstzweck heraus, worin alle Befriedigung des Triebs, soweit sie weiterhin möglich ist, den Ansprüchen auf Identifikation mit dem Kollektiv unterworfen wird. Darum wird in jeder nationalsozialistischen Darstellung des Leibs die Haut zum Panzer.
Wer aber von diesem Massenwahn sich freihält und von jenen, die ihn sich zu eigen machen, verfolgt wird, dem reduziert sich der Leib auf die eine einzige Bedeutung, daß er quälbar ist; Grausamkeit und Destruktion werden von aller vertraglichen Bindung entfesselt, und er allein gilt noch als Maß aller Dinge. Am kategorischen Imperativ nach Auschwitz, wie ihn Adorno formulierte, „läßt leibhaft das Moment des Hinzutretenden am Sittlichen sich fühlen. Leibhaft, weil es der praktisch gewordene Abscheu vor dem unerträglichen physischen Schmerz ist, dem die Individuen ausgesetzt sind, auch nachdem Individualität, als geistige Reflexionsform, zu verschwinden sich anschickt.“

Gerhard Scheit, Dr. phil., Jahrgang 1959; Studium verschiedener Instrumente und Fächer an der Wiener Musikhochschule, der Universität Wien und der FU Berlin; lebt als Publizist in Wien. Bücher: Am Beispiel von Brecht und Bronnen: Krise und Kritik des modernen Dramas (1988); Dramaturgie der Geschlechter. Über die gemeinsame Geschichte von Drama und Oper (1995); Hanswurst und der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik (Wien 1995); Mülltrennung. Beiträge zu Politik, Literatur und Musik (1998); Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus (1999); Meister der Krise (2001); Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt (2004); Herausgeber zweier Bände der neuen Jean Améry-Werkausgabe: Jenseits von Schuld und Sühne, Unmeisterliche Wanderjahre, Örtlichkeiten (2002); Aufsätze zur Philosophie (2004); Jargon der Demokratie. Über den neuen Behemoth (2006)

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Toxic dreams / Wien

Performance - Donnerstag 27.5. 21:30
Performance - Freitag 28.5. 21:30

Mein Camp - Eine Lecture Demonstration

“I want to be one of the boys. A regular guy." ( Bing Crosby in Road to Singapore)

Die Furcht vor Homosexualität steuert viele kulturellen Entwürfe und Repräsentationen des Männlichen. Positiv besetzte Vorstellungen von Männlichkeit schließen Homosexualität so kategorisch aus, dass sie via der Notwendigkeit ihrer systematischen Unterdrückung geradezu zur sine qua non des Maskulinen wird. In so vielen Geschichten und Darstellungen ist die Furcht des Mannes die Furcht vor einem externalisierten "Anderen" , der oder das eigentlich die Verkörperung seines eigenen Unzulänglichen, allem voran Homosexualität, ist .

Existiert eine zwangsläufige Beziehung zwischen dem Ästhetischen, dem Sexuellen, dem Psychologischen und dem Politischen? Ist Subjektivität rein ideologisch? Auf welche Weise ist Heterozentrismus dem klassischen Modell unserer Konzeption von Begehren inhärent? Neigt die Psychoanalyse zur "Privatisierung" und Individualisierung von Phänomenen politischer und sozialer Natur? Produzieren Theorien des Subjektiven generell Betrachtungsweisen, die sie vorgeben zu demystifizieren? Ist das Erotische - als Gegensatz zum Sozioökonomischen oder zum Ethnischen - immer der konstitutive oder primäre Sitz/Ort von Betrachterlust und Subjektbildung? Kann uns die Psychoanalyse überhaupt als kritisches Instrument zur Analyse von Filmen dienen, wenn sie selbst zum narrativen Verlegenheitsgimmick deren Machens wurde?

Mein Camp folgt den Spuren der kulturellen Repräsentation von Sexualität, im speziellen männlicher Sexualität, via zahlreichen Filmen und Geschichten - von Camp bis Porn, von Hollywood Hits bis Underground Klassikern. Im Setting eines Tennisplatzes verbinden die drei PerformerInnen auf lustvolle Weise Theorie mit modellhafter Demonstration und setzen dabei die unterschiedlichsten spielerischen Tools ein - vom Reenactment einzelner Filmszenen über Lipsyncing, dem Einspielen von Video- und Soundbits bis zum sportlichen Gruppentanz. Die Logik(en) der Zuweisungen von Queerness aufzuspüren ist eine Art Übung im gleichzeitigen Drinnen und Draußen sein.

Entwickelt und präsentiert von: Anna Mendelssohn, Cezary Tomaszewski, Yosi Wanunu

Produktion: Kornelia Kilga

Anna Mendelssohn ist Performerin, studierte Performing Arts an der Universität von Leeds/England. Arbeit mit David Mayaan, Superamas u.a. sowie eigene Projekte. Seit 2004 Ensemblemitglied von toxic dreams, zuletzt Mastress of Ceremony in "Pink Vanja", Mehrfachrollen in "Confessions of Theatre Whore".
Yosi Wanunu ist Regisseur, studierte Kunstgeschichte, Theater und Film in Israel, Europa und den USA. Mitbegründer und künstlerischer Leiter von toxic dreams, seit 1998 ca. 25 Produktionen mit dem Label. Arbeit mit anderen freien Gruppen und PerformerInnen in Europa.
Cezary Tomaszewski ist Tänzer, Performer, Choreograf, Musiker. Ausbildung im Choreographic Center in Linz, Theaterakademie und Elsner Musikhochschule in Warschau. Eigene Projekte, zuletzt die Operette "Die Lustige Witwe", mit toxic dreams in "Pink Vanja" 2008.

toxic dreams wurde 1997 in Wien gegründet, seither ca. 25 Produktionen mit sehr hybridem Charakter.

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